Und letzten Endes führt unser Weg doch immer zu uns zurück…

Ich habe im letzten Jahr verdammt viel gelernt. Und auch wenn ich es hasse, zugeben zu müssen, dass ich mich geirrt habe… So manches Mal habe ich meine Ansichten revidieren müssen. Zumindest darin, dass meine Familie und ich nicht sonderlich viel gemeinsam haben. Ich stimme zwar dem immer noch so weit zu, dass ich immer noch daran glaube, dass weder meine Eltern noch meine Geschwister mich je wirklich verstehen werden oder ich sie. Oder wir alle zusammen je die Bilderbuchfamilie werden, die ich mir Jahre lang gewünscht habe. Aber manchmal lohnt es sich, tiefere zu gehen, um wenigstens den bösen Verdacht aus dem Weg zu räumen, man sei adoptiert oder gar im Krankenhaus bei der Geburt vertauscht worden. Oder absichtlich von Waldelfen meiner Mutter in die Wiege gelegt – eine Hoffnung, die ich über Jahre hinweg liebevoll gehegt und gepflegt habe…

In letzter Zeit habe ich viele Stunden bei meiner Oma verbracht. Vor allem, wenn das Gefühl der Nicht-Zugehörigkeit zu Hause unerträglich wurde, war dies mein Hort, meine Insel, mein persönlicher Time Warp zurück in die Sorglosigkeit meiner Kindheit. Die Mutter meiner Mutter ist eine wundervolle Frau. Ich kann mit niemandem so hitzig über politische und gesellschaftliche Themen diskutieren. Was eben nicht ausbleibt, wenn linker Idealismus auf bürgerliche Konversative trifft. Nur um ihr im nächsten Moment bei einer Tasse Tee mitm Kandiszucker stundenlang zuzuhören und ihr im Gegenzug auch mein Herz auszuschütten.

Es ist vielleicht eine Woche her, dass ich das letzte Mal dort war und ihr erzählt habe, wo ich mich in den nächsten Wochen noch überall herumtreiben werde. Dass ich gerade so viel unterwegs bin, dass meine Freunde mir schon den Spitznamen „Graben-Zigeuner“ verpasst haben. Eine Reminiszenz daran, dass ich im Sommer fast jedes Festival als Fotografin mitgenommen habe. Oma fand diese Tatsache recht amüsant. Schließlich sei ich zu einem Achtel immerhin vom „fahrenden Volk“, wie sie es ausdrückte. Und auch wenn ich meinen Urgroßvater mit seinem kohlrabenschwarzen Haar und seinen dunklen, braunen Augen abgesehen von der Größe physisch nicht im Geringsten ähnelte (aber mal ganz ehrlich: Wem aus meiner Familie sehe ich schon ähnlich?), irgendwie würde ich sie in letzter Zeit immer mehr an ihn erinnern. „Und Musik hat er genauso geliebt“, beendete sie an diesem Tag schließlich ihre Ausführungen. Die alte Geige vom Dachboden, die mich schon immer so sehr fasziniert hat, dass meine Oma sie mir damals zum 18. Geburtstag restaurieren lassen und geschenkt hat. Es war seine Geige gewesen. Deshalb auf den Dachboden verbannt, weil nach seinem Tod niemand mehr etwas mit dem guten Stück hatte anfangen können. „Dein Uropa wäre sehr stolz auf dich gewesen, wenn er wüsste, dass sie heute dir gehört.“

Irgendwie war es der Moment, der mich wenigstens ein bisschen mit meiner Familiengeschichte versöhnt hat. Es ist irgendwie ein tröstlicher Gedanke, sich vorzustellen, dass mein Urgroßvater irgendwo im Jenseits schmunzelnd dabei zusieht, wie ich auch weiterhin durch die Weltgeschichte reise, und sich denkt: „Das ist mein Mädchen!“ Und nicht „Wer hat DIE uns denn ins Nest gelegt?“