Ich habe ziemlich lange mit mir gerungen, ob ich jetzt auch noch etwas dazu schreiben will. Das Thema „Psychiatrie-Gesetz“ geistert gerade derart präsent durch die Medien, dass ich eigentlich dem Wahnsinn nicht noch mehr Aufmerksamkeit gönnen möchte. Es gibt so viele Menschen, die mir aus der Seele sprechen – die genau das sagen, was ich angesichts der Aussicht empfinde, bald aktenkundig in irgendeinem System aufzutauchen. Bis mir gestern echt der Kragen geplatzt ist. Bisher hatte ich immer das Glück gehabt, auf Menschen zu treffen, die mir wohlgesinnt und mit jede Menge Verständnis begegnet sind. Ich habe das Glück, mit Leuten zusammenleben, zu arbeiten und befreundet zu sein, die gar keine großen Erklärungen erwarten. Wenn ich eine Krise habe, weiß ich sofort, wen ich anrufen kann, ohne dass es mir peinlich sein muss. Ich weiß, dass ich aufgefangen werden, nicht komisch angeschaut werde und vor allem: Dass ich nicht den Stempel „Psycho“ bekomme, weil ich das bin, was die Umstände, vielleicht die Gene und das Leben aus mir gemacht haben.

Ich für mich wollte auch nie irgendeinen Sonderstatus. Ich wollte einfach nur in Ruhe gelassen werden, nicht mit Samthandschuhen angefasst werden. Wenn ich Hilfe brauche, dann melde ich mich. Ansonsten will ich einfach nur mein Leben genauso leben, wie alle anderen auch.
Wie schwierig das werden wird, wenn öffentliche Stellen über meine psychische Erkrankung Bescheid wissen, habe ich gestern erst festgestellt:

Ich habe den großen Fehler gemacht, mit offenen Karten zu spielen, als ich mich an meiner Hochschule beworben habe. Mein Dozent im letzten Semester wusste Bescheid, dass ich mit den Spätfolgen einer Essstörung zu kämpfen habe, dass ich gerade erst lerne, mit meiner Borderline-Persönlichkeitsstörung umzugehen und auf mich zu achten. Und im Semestergespräch und der daraus resultierenden Übergabe an meine Dozentin in diesem Semester hat er mich mit diesem Wissen geschlagen. Wir waren mit dem fachlichen Teil des Gesprächs fast durch, als er sich an seine Kollegin wandte: „Und nur dass du es weißt: Sie bringt zwar eine psychische Belastung mit, aber wir haben vereinbart, dass es keine Sonderbehandlung gibt. Das hat im vergangenen Jahr gut geklappt, aber nur für den Fall, dass sie es versuchen sollte…“ Ich war vollkommen perplex und stinksauer. Warum ich das tun sollte, fragte ich. Das selbstgefällige Lächeln hätte ich ihm am liebsten aus dem Gesicht gewischt. „Na ja, es liegt ja schon im Kern der Sache, dass du dir da eine neue Bindung erarbeiten könntest…“ Als ich, vermutlich vollkommen aus dem Zusammenhang gerissen, das Wort „manipulativ“ hörte, knallten die Leitungen einfach bei mir durch. Ich habe meinen Dozenten scharf angegangen, dass ich mir das nicht anhören muss und das Gespräch jetzt beende. Und bin gegangen.

Ich habe am ganzen Körper gezittert, so aufgewühlt war ich.
Es war ein Moment, der mir ziemlich eindrücklich vor Augen geführt hat, dass es für mich kein normales Leben geben wird, wenn alle Welt Bescheid weiß. Sie werden immer im Hinterkopf behalten, dass ich eine tickende Zeitbombe bin. Es hat einen Grund, warum viele Menschen derart sorgfältig abwägen, wem sie von ihrer Erkrankung erzählen. Es ist Selbstschutz, das menschlichste Bedürfnis von allen. Und Bayern ist gerade dabei, die Menschen dieser Möglichkeit, ihrer letzten Möglichkeit, ein normales Leben zu führen, zu berauben.